Überforderung und Partnerschaft: Eine gute Strategie beim Streit

Vor Kurzem ist eine sehr gute Freundin am Telefon völlig ausgerastet und beschwerte sich auch, dass ich arbeiten musste und – nicht insgesamt, sondern in diesem Moment – keine Zeit für ihr Anliegen hatte. So seien alle, und so weiter. Sie sagte noch ein paar unschöne Dinge. Im Kern ging es ihr darum, dass sie von jemandem enttäuscht worden war.

Ungefähr zwei Stunden später gestand sie ein, dass sie überreagiert hatte.

Überforderung mit Ansage

Die Situation war klar: Sie war mit etwas überfordert, brauchte jemanden zum Zuhören wegen der Enttäuschung, und ich musste sie zwangsläufig auch enttäuschen. Wenn dies dann zu einem Ausraster führt, ist das doch verständlich.

Da ich sie kenne, wusste ich bereits, dass sie ausrasten würde, bevor ich ihr mitgeteilt hatte, dass wir das Gespräch auf später verlegen müssen.

Soll ich diese Freundin jetzt mit dem Anspruch, dass bitte alle meine Mitmenschen in jedem Moment absolut beherrscht und klar denkend auf mich zugehen mögen, „abschießen“? Ich möchte es nicht. Ihr Verhalten entsprach nicht dem, was Autoren einer Neuauflage des „Knigge“ erwarten würden. Na, und?

Die Situationen sind vorhersehbar

Bei einigen Diskussionen rund um Beziehungen habe ich den Eindruck, dass einige Menschen überhaupt keine Großzügigkeit an den Tag legen können, und keine Empathie gegenüber den Sorgen und auch Grenzen anderer Menschen. Kein Mensch kann sich stets beherrscht verhalten. Man kann es also von keinem Menschen verlangen.

Und jetzt verrate ich ein Geheimnis: Die Situationen, die andere Menschen überfordern, sind – auf das Individuum bezogen – immer die gleichen. Du kannst oft vorhersagen, wann ein „Fehlverhalten“ zu Tage treten wird, und wirst es auch immer wieder erleben, dass der betroffenen Person dies leid tun wird und sie sich entschuldigt.

Es fehlt diesem Mitmenschen schlicht an einer Bewältigungsstrategie für solche Ereignisse. Dass sie fehlt, kann man schön einfach als Versäumnis abtun, aber so einfach ist es nicht, eine solche Strategie zu finden. Und es gibt auch Situationen, in denen „Ausrasten“ (positiv „Dampf ablassen“ genannt) eine durchaus probate Bewältigungsstrategie sein kann. Ich nenne gern mal ein Beispiel, falls das hier jemanden interessieren sollte.

Keine neuen Gesetze erfinden – erst Recht nicht heimlich

Was auch auffällig ist: Menschen definieren so etwas wie „Tatbestände“, bei deren Verwirklichung sie „Konsequenzen ziehen“. Dies ist letztendlich die dominant-aggressive Vorgehensweise von Leuten, die zuerst selbst Regeln erfinden, um dann anderen vorzuhalten, dass sie sich nicht daran halten. Auf diese Weise geht dann im Extremfall quasi-hoheitlicher Beziehungsterror von Freitagsgesetzgebern aus.

Im Extremfall sind die selbst fabrizierten „Regeln“ dann auch noch Geheimgesetze, deren Existenz erst bei einem Verstoß offengelegt wird. Manchmal geht es dann schon in die Richtung des Verhaltens kleiner Kinder, die beim Brettspiel die Regeln einseitig umdeuten, wenn ihnen dies einen Spielvorteil verschafft.

Du hast den Müllbeutel falsch gehalten? Dafür gibt es Schimpfe! Dabei gibt es das Müllbeutel-Halte-Reglement nur im Kopf der Schimpfenden. Oder: Wir haben eine offene Beziehung, aber du hast vorher nicht gesagt, dass du mit der Elke Sex haben wirst? Wenn die „Elke-Sex-vorher-ansage“-Regel nicht verabredet worden ist (von beiden!), gibt es sie nicht.

Die Worte „Das macht man so“ oder „Das geht so nicht“ sind ein guter Indikator für solche eigenmächtigen Regelerfinder. Das Erfinden von Regeln ist ein Versuch, mit eigener Überforderung klarzukommen. Das eigene Problem wird, wie man so schön sagt, externalisiert. Also: Jemand anderem in die Schuhe geschoben. Überforderung ist hingegen zuvörderst ein Problem der Person, die überfordert ist.

Situationskritik statt Angriff auf die Person als Lösung bei Überforderung

Also zurück zum Punkt: Wo steht, dass man in bestimmten Situationen nicht ausrasten darf? Nirgendwo. Für einige mag dies kontraintuitiv sein. Dennoch ist es richtig. Es gibt keine Regel: „Man darf nicht ausrasten.“

Wer es dann unerträglich findet, müsste sich von dem „Ausrastermenschen“ eben trennen, wenn dieser Mensch keine alternative oder erträgliche Bewältigungsstrategie zur Hand hat. Den Stressfaktor, der zum Ausrasten führt, den wird man nicht so rasch beheben können. Was aber drin sein könnte, wäre die Aufforderung: „Beschimpfe nicht mich, sondern die Situation.“

Im Müllbeutelbeispiel würde der Ausraster eben nicht lauten: „Du hast den wieder falsch gehalten, weshalb du dafür sorgst, dass hier alles ausgelaufen ist, dreckig ist und stinkt.“ Stattdessen: „Immer dieser Ärger mit dem Müll, jetzt ist wieder alles dreckig und stinkt und macht Arbeit, wie ich das hasse!“ Diesem Befund wird dann sogar der Mensch zustimmen können, der den Müllbeutel entsorgt hatte. Er hätte sogar eine Brücke zur Gesichtswahrung: „Das liegt an diesem Billigfabrikat, das nächste Mal kaufen wir doch wieder die teuren.“ (nicht: „Kauf du die teuren“)

Ich schreibe hier nicht gegen bestimmte Personen an, sondern schildere einen Gesamteindruck.

Zusammenfassung

Wenn Menschen bei Überforderung an ihre Grenzen stoßen, kann dies Beziehungen belasten. Häufig werden Partner dann wütend, „rasten aus“. Ernsthaft kann man von keinem Menschen verlangen, dass dies niemals geschehe, und dass sich der jeweilige Partner stets vorbildlich verhält. Die unschönen Situationen werden sich oft wie in einer Schleife wiederholen. Denn die überfordernden Situationen sind immer die gleichen und auch vorhersagbar.

Wenig hilfreich ist die Definition von „Tatbeständen“, die zu „Konsequenzen“ führen. Denn dies ist aggressiv-dominante Regelsetzung. Es gibt nämlich keine allgemeine Regel, wonach man nicht wütend sein dürfte. Eine gute Bewältigungsstrategie kann es sein, den wütenden Menschen die Aggression künftig auf den Sachverhalt selbst und nicht gegen die daran beteiligten Personen zu richten: „Mich ärgert das“, anstelle „Du ärgerst mich“.

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